Marianne Schuster, 42, lebt allein in einer kleinen Wohnung am Stadtrand. Ihr Alltag unterscheidet sich jedoch stark von dem einer typischen Alleinstehenden. Jeden Morgen steht sie früh auf, um "Sophie", ihre lebensechte Babypuppe, zu füttern, zu baden und anzuziehen. Sie spricht mit ihr, wiegt sie in den Schlaf und geht sogar regelmäßig mit einem Kinderwagen spazieren. Marianne führt ein Leben, das viele für das einer Mutter halten würden – mit dem einzigen Unterschied, dass ihr Kind nicht aus Fleisch und Blut besteht.

Die Puppe, die ein Loch füllt

Die Geschichte hinter Mariannes besonderer Beziehung zu Sophie ist tief bewegend. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, ein Kind zu bekommen, und einer schweren Fehlgeburt entschied sich Marianne, keine weiteren medizinischen Eingriffe oder Behandlungen mehr vornehmen zu lassen. Der Schmerz über den unerfüllten Kinderwunsch war groß, und sie suchte nach einem Weg, diese Lücke in ihrem Leben zu schließen.

„Sophie ist mein Licht in der Dunkelheit“, erklärt Marianne. „Sie gibt mir Trost und einen Sinn im Alltag.“ Die Puppe wurde ihr von einer Freundin geschenkt, die bemerkte, wie sehr Marianne unter ihrem Verlust litt. Die lebensechte Gestaltung der Puppe – von den weichen Haaren bis hin zu den detailgetreuen Gesichtszügen – half Marianne, sich eine neue Rolle als "Mutter" zu erschaffen.

Gesellschaftliche Reaktionen

Mariannes Lebensstil ruft gemischte Reaktionen hervor. Während einige Nachbarn und Freunde sie unterstützen und Verständnis für ihre Situation zeigen, stoßen andere ihr Verhalten mit Skepsis oder Spott ab. „Es ist doch nur eine Puppe“, sagen manche, während andere meinen, es sei ungesund, Realität und Fantasie so zu vermischen.

Psychologen sehen Mariannes Verhalten hingegen differenzierter. „Für manche Menschen kann das Pflegen einer Puppe wie eine Therapie wirken“, erklärt Dr. Carla Meier, eine Expertin für Trauerbewältigung. „Es ist eine Form des Copings, die es erlaubt, unaufgelöste Emotionen zu kanalisieren und einen gewissen Frieden zu finden.“ Solange Marianne keine Gefahr für sich oder andere darstelle, sei ihr Verhalten weder schädlich noch pathologisch.

Ein neues Kapitel

Marianne hat keine Pläne, ihr Leben mit Sophie aufzugeben. Sie ist glücklich und fühlt sich in ihrer Rolle als „Mutter“ erfüllt. „Es ist mir egal, was andere denken“, sagt sie entschlossen. „Sophie ist meine Familie, und ich werde immer für sie da sein.“

Für Außenstehende mag Marianne Schusters Leben unorthodox erscheinen, doch es erzählt von der menschlichen Fähigkeit, sich an widrige Umstände anzupassen und neue Wege zu finden, um mit Verlust umzugehen. Ihr Mut, ihr eigenes Glück zu definieren, ist eine stille Erinnerung daran, dass Familie und Liebe viele Formen annehmen können.

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