Anna hat ihr Leben lang gearbeitet. Über 40 Jahre war sie in einem mittelständischen Unternehmen als Sekretärin tätig, hat Überstunden gemacht und kaum Urlaub genommen. Sie hat ihre Kinder alleine großgezogen, nachdem ihr Mann früh verstorben war. „Ich habe nie jemanden um Hilfe gebeten. Ich dachte, ich schaffe das allein“, erzählt sie.

Doch als sie in Rente ging, wurde schnell klar, dass sie mit ihrer kleinen Rente von knapp 980 Euro im Monat kaum über die Runden kommen würde. Die steigenden Lebenshaltungskosten, besonders bei Miete, Energie und Lebensmitteln, haben sie in die Enge getrieben. „Es bleibt am Ende des Monats oft nichts übrig. Manchmal muss ich entscheiden, ob ich die Heizung einschalte oder etwas Frisches zu essen kaufe“, sagt sie mit leiser Stimme.

Wo sind die Kinder?

Anna hat drei Kinder, die alle gut im Leben stehen. Ihr ältester Sohn, 49, ist Ingenieur, ihre Tochter, 45, arbeitet als Lehrerin, und ihr jüngster Sohn, 41, ist IT-Spezialist. Sie alle haben stabile Einkommen und eigene Familien. Dennoch erhält Anna keine finanzielle Unterstützung von ihnen. „Es tut weh“, gesteht sie. „Ich habe immer gedacht, dass Kinder sich um ihre Eltern kümmern, wenn es nötig ist. Aber ich will sie auch nicht bedrängen.“

Auf die Frage, warum ihre Kinder ihr nicht helfen, antwortet Anna zögerlich: „Vielleicht denken sie, dass ich klarkomme. Oder sie wollen nicht, dass ich abhängig von ihnen werde. Aber ich spüre, dass der Kontakt zu ihnen immer weniger wird.“

Das Tabuthema: Elternunterhalt in Deutschland

Anna ist kein Einzelfall. In Deutschland gibt es viele Rentnerinnen und Rentner, die trotz jahrzehntelanger Arbeit kaum überleben können. Besonders bitter ist es für diejenigen, deren Kinder finanziell abgesichert sind, aber sich nicht in der Verantwortung sehen, ihren Eltern zu helfen. Zwar gibt es in Deutschland rechtliche Regelungen zum sogenannten Elternunterhalt – wenn Eltern pflegebedürftig werden, können Kinder verpflichtet werden, einen Teil der Kosten zu übernehmen. Doch solange jemand wie Anna selbstständig lebt, greift diese Regelung nicht.

Ein weiterer Faktor ist der gesellschaftliche Wandel. Viele Familien leben weit voneinander entfernt, der Kontakt wird seltener, und die gegenseitige Unterstützung – ob finanziell oder emotional – schwindet. „Früher war es selbstverständlich, dass man zusammenhält. Heute geht jeder seinen eigenen Weg“, meint Anna.

Der tägliche Kampf

Anna spart, wo sie kann. Sie kauft reduzierte Lebensmittel, verzichtet auf Arztbesuche, die Zuzahlungen erfordern, und hat kein Geld für kleine Freuden wie ein Theaterstück oder einen Ausflug. „Man gewöhnt sich daran, wenig zu haben“, sagt sie, obwohl ihr Blick etwas anderes verrät – eine Mischung aus Resignation und Schmerz.

Doch der Stolz hält sie davon ab, ihre Kinder direkt um Hilfe zu bitten. „Ich will nicht betteln. Ich habe ihnen alles gegeben, was ich konnte. Vielleicht habe ich sie damit zu sehr verwöhnt“, überlegt sie.

Was kann getan werden?

Die Geschichte von Anna wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das in Deutschland oft übersehen wird: Altersarmut und die fehlende Unterstützung durch die Familie. Es braucht mehr gesellschaftliches Bewusstsein und politische Maßnahmen, um Rentnerinnen wie Anna zu helfen – sei es durch eine Erhöhung der Grundrente, bezahlbare Wohnungen oder gezielte Unterstützungsprogramme.

Für Anna bleibt die Hoffnung, dass sich eines Tages etwas ändert – vielleicht auch in ihrer Familie. „Ich habe meine Kinder immer geliebt. Und ich hoffe, dass sie irgendwann sehen, wie es mir wirklich geht.“

Doch bis dahin kämpft sie allein – Tag für Tag, Monat für Monat. Ein stilles Schicksal, das exemplarisch für viele Rentner in Deutschland steht.

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