Die meisten Familien stellen sich eine Großmutter vor, die mit Freude auf die Enkelkinder aufpasst, Geschichten erzählt und Kekse backt. Doch was passiert, wenn die Großmutter sich weigert, auf ihre 1,5-jährige Enkelin aufzupassen? Genau das ist die Situation, in der sich Lisa und ihre Mutter Karin befinden. Karin hat klargestellt, dass sie nicht bereit ist, regelmäßig auf ihre Enkelin Emma aufzupassen – und Lisa ist tief verletzt.
Wenn Erwartungen an Großeltern enttäuscht werden
Für Lisa ist die Enttäuschung groß. Sie hat gehofft, dass ihre Mutter eine aktive Rolle im Leben ihrer Tochter Emma übernehmen würde. In ihrem Umfeld kennt sie viele Großeltern, die begeistert Zeit mit ihren Enkeln verbringen und damit nicht nur die Eltern entlasten, sondern auch selbst erfüllt sind. Doch ihre Mutter Karin denkt anders.
Karin ist Anfang 60, noch berufstätig und in ihrer Freizeit sehr engagiert. Sie reist gern, pflegt ihre Hobbys und genießt ihre Unabhängigkeit. „Ich liebe Emma von ganzem Herzen“, sagt Karin, „aber ich möchte meine Zeit nicht damit verbringen, Windeln zu wechseln und ständig für ein kleines Kind verantwortlich zu sein.“ Für sie ist das Großmuttersein keine Verpflichtung, sondern eine Option.
Enttäuschung und Missverständnisse zwischen den Generationen
Lisa hingegen ist von der Haltung ihrer Mutter tief verletzt. „Ich habe das Gefühl, sie will Emma nicht genug, um sich zu engagieren. Es ist, als wäre sie nicht bereit, mir zu helfen, obwohl ich es gerade dringend brauche,“ sagt sie. Wie viele junge Eltern erlebt Lisa die Herausforderungen der Kinderbetreuung und den Druck, zwischen Beruf und Familie zu jonglieren.
Im Gespräch wird deutlich, dass Lisas Verletzung auch von gesellschaftlichen Erwartungen geprägt ist: Die Vorstellung, dass Großeltern automatisch einspringen, wenn die Familie Unterstützung braucht, ist in Deutschland verbreitet. Großeltern gelten oft als unverzichtbare Helfer, die freiwillig und gerne zur Verfügung stehen. Doch diese Erwartung kann problematisch sein, wenn sie die Realität und Wünsche der Großeltern ignoriert.
Selbstbestimmung der Großeltern: Eine Frage des Respekts
Die Vorstellung, dass Großeltern selbstverständlich auf ihre Enkel aufpassen, verkennt oft deren eigenen Lebensentwürfe und Bedürfnisse. Menschen in Karins Alter sind heute oft noch berufstätig, aktiv und unabhängig. Anders als frühere Generationen betrachten sie das Großelternsein nicht als Verpflichtung oder Hauptrolle in ihrem Leben.
Karin sagt dazu: „Ich habe mein Leben lang hart gearbeitet und möchte nun auch Zeit für mich haben.“ Sie fühlt sich missverstanden und bedrängt, als ihre Tochter sie immer wieder um Unterstützung bittet. Ihre Selbstbestimmung und der Wunsch, ihre Zeit frei zu gestalten, scheinen Lisa schwer nachvollziehbar.
Wege aus dem Dilemma: Verständnis und Kompromisse
Für beide Seiten gibt es Möglichkeiten, die Situation zu entschärfen. Zunächst können sie gemeinsam ergründen, warum Karins Ablehnung für Lisa so verletzend ist und wie Karin ihre Bedürfnisse kommunizieren kann, ohne dass Lisa sich abgelehnt fühlt. Hier könnte ein offenes Gespräch helfen, in dem Lisa und Karin ihre Gefühle und Wünsche klar formulieren, ohne den jeweils anderen anzugreifen.
Eine mögliche Lösung wäre, einen Kompromiss zu finden. Vielleicht ist Karin bereit, gelegentlich – und nicht regelmäßig – auf Emma aufzupassen, sodass Lisa Zeit für sich hat, während Karin ihre eigene Freiheit behält. Alternativ könnte Lisa prüfen, ob sie andere Unterstützungsmöglichkeiten findet, um die Belastung auf mehrere Schultern zu verteilen.
Der Wunsch nach Nähe – ohne Pflichtgefühl
Letztendlich geht es um eine Balance zwischen Nähe und Unabhängigkeit. In modernen Familienstrukturen sind solche Spannungen nicht ungewöhnlich. Großeltern haben das Recht, ihre Rolle selbst zu definieren, ohne sich gezwungen zu fühlen, in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden. Diese Freiheit kann, wie bei Karin und Lisa, auf Unverständnis und Verletzungen stoßen, wenn die Erwartungen der Generationen auseinandergehen.
Ein respektvoller Umgang mit unterschiedlichen Erwartungen und eine Bereitschaft, Kompromisse zu finden, können jedoch helfen, dass sich beide Seiten nicht nur gehört, sondern auch verstanden fühlen. Auch wenn Karin sich gegen eine regelmäßige Betreuung entschieden hat, kann sie ihre Enkelin lieben und ihr in anderer Weise eine bereichernde Großmutter sein.
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