Am Frankfurter Hauptbahnhof, wo täglich Tausende von Menschen vorbeieilen, die Ziele, Termine und ein geregeltes Leben vor sich haben, gibt es auch diejenigen, die auf der Strecke geblieben sind. Unter ihnen ist Carmen, eine 46-jährige Frau, die auf den ersten Blick vielleicht als eine von vielen obdachlosen Menschen wahrgenommen wird. Doch ihre Geschichte hebt sie von der Masse ab: Carmen spricht vier Sprachen fließend, hat eine abgeschlossene Ausbildung und dennoch kein Dach über dem Kopf.
Ein Leben zwischen Sprachen und Schattenseiten
Carmen, die ursprünglich aus Rumänien stammt, spricht Rumänisch, Deutsch, Englisch und Italienisch. Ihre Sprachkenntnisse, die sie sich in jungen Jahren und während ihrer Ausbildung aneignete, erzählen von einem Leben voller Potenzial und Träume. Doch die Realität hat sie eingeholt, und heute ist sie eine derjenigen, die im Bahnhof Unterschlupf suchen – zwischen den kalten Bänken, den Lichtern der Anzeigetafeln und der Rastlosigkeit der Reisenden.
„Ich wollte Dolmetscherin werden“, erzählt Carmen mit einem sanften Lächeln, das ihre erschöpfte Erscheinung für einen Moment überstrahlt. In ihrer Heimat absolvierte sie eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin, doch der Fall des Eisernen Vorhangs und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Osteuropa ließen sie ins Ausland ziehen. „Ich dachte, Deutschland wäre mein Neuanfang“, sagt sie und senkt den Blick.
Die unsichtbaren Hürden eines Neuanfangs
In Deutschland begann Carmen zunächst mit Gelegenheitsjobs, um über die Runden zu kommen. Doch der Traum vom besseren Leben geriet ins Wanken. Ein unglücklicher Mix aus instabilen Arbeitsverhältnissen, gesundheitlichen Problemen und einer Trennung führte dazu, dass Carmen in die Wohnungslosigkeit abrutschte. „Es ging so schnell“, erinnert sie sich. „Ein Moment hat man alles unter Kontrolle, und im nächsten bricht alles weg.“
Ihre Sprachkenntnisse und ihre Ausbildung hätten ihr Chancen eröffnen können, doch das System, die Bürokratie und ihre eigene Verletzlichkeit machten es ihr schwer, den Weg zurück ins Arbeitsleben zu finden. Zudem ist die Obdachlosigkeit oft stigmatisierend: „Die Leute sehen dich an und denken, du bist faul oder dumm. Dabei weiß niemand, was wirklich passiert ist“, sagt sie.
Ein Alltag voller Herausforderungen
Carmen lebt seit drei Jahren am Frankfurter Bahnhof. Ihr Alltag ist geprägt von Unsicherheiten, aber auch von kleinen Routinen. Sie kennt die besten Orte, um sich vor dem Regen zu schützen, und hat Freundschaften mit anderen Obdachlosen geschlossen. Ihre Sprachkenntnisse nutzt sie, um Touristen zu helfen oder mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. „Manchmal verdiene ich ein bisschen Geld, indem ich jemanden begleite oder übersetze“, sagt sie. Doch das reicht nicht, um aus der Obdachlosigkeit herauszukommen.
Eine der größten Herausforderungen ist die Perspektivlosigkeit. „Ohne eine feste Adresse bekommst du keinen Job, und ohne Job keine Wohnung. Es ist ein Teufelskreis“, erklärt Carmen. Obwohl es in Frankfurt Hilfsangebote für Obdachlose gibt, fühlt sich Carmen oft übersehen. „Es gibt so viele von uns. Wir sind wie Schatten, die die Leute ignorieren.“
Ein Appell an die Gesellschaft
Carmens Geschichte ist keine Einzelfallgeschichte, sondern ein Spiegel für die gesellschaftlichen Lücken, die Menschen wie sie durchfallen lassen. Sie zeigt, wie schnell ein Leben aus der Bahn geraten kann – und wie schwer es ist, wieder auf die Füße zu kommen, selbst wenn man Talente und Fähigkeiten besitzt.
„Ich bin keine hoffnungslose Person“, sagt Carmen zum Abschluss. „Ich glaube daran, dass es irgendwann besser wird. Aber ich brauche Hilfe – und vielleicht auch ein bisschen Glück.“
Der Frankfurter Hauptbahnhof ist nicht nur ein Ort des Kommens und Gehens, sondern auch ein Ort, der Geschichten wie die von Carmen trägt. Geschichten, die uns daran erinnern, wie wichtig Mitgefühl und Solidarität in einer Gesellschaft sind, die sich oft zu schnell bewegt, um innezuhalten und hinzusehen.
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